Digitalisierung: Die bAV erlebt Digitalisierungsschub
Die wachsende Digitalisierung ist auch in der Betrieblichen Altersversorgung (bAV) spürbar. Unternehmen sollten sich darauf einstellen.
Die betriebliche Altersversorgung (bAV) – auch betriebliche Altersvorsorge genannt, wenn es um Entgeltumwandlung geht – umfasst alle finanziellen Leistungen, die ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer aufgrund seines Arbeitsverhältnisses zur Altersversorgung zusagt. Sie basiert ursprünglich auf dem Betriebsrentengesetz (BetrAVG), dem inzwischen zahlreiche neue Gesetze bis zuletzt das Betriebsrentenstärkungsgesetz (BRSG) gefolgt sind. Auch Beiträge aus dem eigenen Entgelt, die ein Arbeitnehmer vom Arbeitgeber für die eigene Altersvorsorge umwandeln lässt, gelten als betriebliche Altersversorgung. Hinzu können zusätzliche betriebliche Versicherungen kommen, etwa Versicherungen für die Versorgung von berechtigten Hinterbliebenen im Todesfall oder zur Invaliditätsversorgung bei Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit.
Die betriebliche Altersversorgung kennt fünf Durchführungswege (Direktzusage, Pensionskasse, Direktversicherung, Unterstützungskasse, Pensionsfonds) sowie unterschiedliche Finanzierungsvarianten aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträgen mit steuerlichen Fördermöglichkeiten. Auch bieten sich unterschiedliche Beitragsformen des Arbeitgebers an:
Weiter existieren einige Sonderformen der bAV:
Heute verfügen laut der „Trägerbefragung zur betrieblichen Altersversorgung 2017“ im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales rund 56 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland über mindestens eine Anwartschaft auf eine betriebliche Altersversorgung, wobei der Anteil der Beschäftigten im öffentlichen Dienst mit rund 60 Prozent höher ist als der Anteil der in der Privatwirtschaft beschäftigten Arbeitnehmer.
Die gesamte betriebliche Altersversorgung nach Regelungen und Vorschriften aus der Zeit vor dem Betriebsrentenstärkungsgesetz (BRSG) vom 17. August 2017 wird als „alte Welt“ der bAV bezeichnet. Davon hebt sich die „neue Welt“ ab, die auf dem BRSG fußt, insbesondere auf dem neuen Sozialpartnermodell (SPM), das aber bislang noch nicht in die Praxis umgesetzt wurde.
Die ersten – rechtlich unverbindlichen – Zusagen von Altersleistungen durch Arbeitgeber an ihre Beschäftigten in Deutschland stammten aus der Zeit der frühen Industrialisierung, also der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Im 20. Jahrhundert profitierten neben vielen Beschäftigten im Öffentlichen Dienst vor allem die Mitarbeiter von Industriekonzernen wie Bosch, Bayer und Siemens von arbeitgeberfinanzierten Versorgungswerken. Aber auch der Mittelstand hat schon früh erkannt, dass es sich lohnt, die eigene Belegschaft durch eine Betriebsrente langfristig zu binden.
Bis Anfang des 21. Jahrhunderts kannte die betriebliche Altersversorgung in Deutschland vier klassische Durchführungswege: die unmittelbare Direktzusage sowie die mittelbaren Durchführungswege Pensionskasse, Unterstützungskasse und Direktversicherung:
Die Folgen der demographischen Entwicklung und die steigende Arbeitslosigkeit in den neunziger Jahren und um die Jahrtausendwende veranlassten die damalige Bundesregierung zur Rentenreform von 2001. Vor allem durch steuerliche Förderung der arbeitnehmerfinanzierten Entgeltumwandlung und durch staatliche Zulagen zur neuen Riesterrente, einer staatlich geförderten, kapitalgedeckten Altersvorsorge mit einer privaten und einer betrieblichen Variante, wollte der Gesetzgeber die Beschäftigten dazu motivieren, auf freiwilliger Basis kapitalgedeckte Altersvorsorge zu betreiben. So sollte die drohende Rentenlücke infolge von absehbar rückläufigen Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung durch zusätzliche Vorsorgeleistungen geschlossen werden. Die Entgeltumwandlung kannte bzw. kennt drei Formen der steuerlichen Förderung:
Auch 20 Jahre nach der Reform ist es nicht gelungen, die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in überwiegender Zahl und in ausreichendem Umfang der Anwartschaften zu einer freiwilligen Altersvorsorge mittels Entgeltumwandlung zu motivieren. So weist die „Trägerbefragung zur betrieblichen Altersversorgung 2017“ sogar einen leichten Rückgang der Marktdurchdringung in der bAV aus. Demnach stieg zwar die absolute Zahl der Beschäftigten, die eine Anwartschaft auf eine betriebliche Altersversorgung erworben haben, von Dezember 2015 bis Dezember 2017 von 17,6 Millionen Personen um 2,9 Prozent auf 18,1 Millionen Personen. Doch gemessen an der Gesamtzahl der Arbeitnehmer im Dezember 2017 steht mit einem Anteil von 55,6 Prozent der Beschäftigten mit mindestens einer bAV-Anwartschaft ein Rückgang um 1 Prozentpunkt im Vergleich zum Dezember 2015 zu Buche.
Zugleich verursacht der seit 2008 langfristige Niedrigzins jenen Unternehmen, die ihren Mitarbeitern in der Vergangenheit Versorgungsleistungen zugesagt haben, zum Teil Schwierigkeiten, die zugesagten Pensionsleistungen am Kapitalanlage zu erwirtschaften. Deshalb schließen immer mehr Unternehmen ihre alten, rein arbeitgeberfinanzierten Versorgungswerke für neu eingestellte Mitarbeiter. An die Stelle von Leistungs- oder Pensionszusagen (Defined Benefit) setzen sie häufig Beitragszusagen (Defined Contribution). Hier werden beitragsorientierte Leistungszusagen für die versicherungsförmigen Durchführungswege und Beitragszusagen mit Mindestleistung für Pensionsfonds unterschieden. Auch lagern viele Unternehmen ihre – nicht ausfinanzierten – Pensionsverpflichtungen an eine Treuhand (Contractual Trust Arrangement, kurz CTA) oder an einen Pensionsfonds aus.
Um die kapitalgedeckte Altersvorsorge über die Entgeltumwandlung für Arbeitnehmer und Arbeitgeber attraktiver zu machen, hat der Gesetzgeber das Betriebsrentenstärkungsgesetz (BRSG) vom 17. August 2017 (BGBl. I S. 3214) verabschiedet. Es soll durch gezielte Maßnahmen im Arbeits-, Sozial- und Steuerrecht auf freiwilliger Basis die Marktdurchdringung in der bAV erhöhen, insbesondere in kleinen und mittleren Unternehmen und bei Geringverdienenden. Mit dem Inkrafttreten des BRSG zum 1. Januar 2018 teilt sich die betriebliche Altersversorgung in die „alte Welt“ und die „neue Welt“. Tatsächlich lassen sich aber mehrere Inhalte des BRSG auch für neu abzuschließende Bestandsmodelle aus der „alten Welt“ nutzen, so dass abzuwarten bleibt, ob das Zwei-Welten-Denken bestehen bleibt oder ob das BRSG nicht eine Ausbaustufe für die „alte Welt“ ist.
Die wichtigste Innovation des BRSG ist das Sozialpartnermodell (SPM) mit dem Vehikel der reinen Beitragszusage (rBZ). Bislang waren in Deutschland bAV-Pläne, die komplett auf Garantien der Arbeitgeber zumindest für die eingezahlten Beiträge verzichten, nicht zugelassen. Das steht im Gegensatz zur Praxis in anderen Ländern, in denen kapitalmarktorientierte Pensionspläne ohne Garantien von der Rendite aus der Anlage in Aktien profitieren.
Das BRSG ermöglicht es, eine rBZ im Rahmen eines Sozialpartnermodells per Tarifvertrag auf betrieblicher Ebene oder per Flächentarifvertrag einzuführen, wobei es für die Tarifpartner – auch für nicht tarifgebundene Betriebe – keine Pflicht gilt, ein SPM aufzulegen. Bei diesem Modell gelten vergünstigte Rahmenbedingungen für die Entgeltumwandlung über die versicherungsförmigen Durchführungswege Direktversicherung, Pensionskasse und Pensionsfonds. Dazu zählen ein höherer steuerfreier Höchstbetrag, die obligatorische Weitergabe der 15-prozentigen Ersparnis der Sozialversicherungs(SV)-Beiträge durch den Arbeitgeber an die Beschäftigten und die Option, die Teilnahme an der bAV per Tarifvertrag beim Betriebseintritt zu automatisieren (Opting-out).
Ein SPM vereinbaren die jeweiligen Tarifpartner. Der Arbeitgeber muss den zugesagten Beitrag an die Versorgungseinrichtung entrichten, übernimmt aber keine Mindest- oder Garantieleistungen für die Betriebsrente des Arbeitnehmer. Er steht also – im Gegensatz zu den meisten Modellen der „alten Welt“ – bei der rBZ nicht länger in der Haftung für das Leistungsniveau („pay and forget“). An die Stelle von Garantien tritt eine Zielrente in Anlehnung an die geleisteten Beiträge. Sozialpartnermodelle sind gerade auf der Ebene von Flächentarifverträgen mit aufwendigen Vorarbeiten der Tarifpartner auf tarif-, sozial- und verbandspolitischer Seite verbunden. Zudem sind die Tarifpartner in die Verwaltung und die Kapitalanlage der rBZ eingebunden.
Andere Teile des BRSG lassen sich einfacher in die betriebliche Praxis umsetzen, zumal sie neu abzuschließende Modelle und Produkte aus der „alten bAV-Welt“ attraktiver machen. Dazu zählen
Der Förderbetrag für den Arbeitgeber beläuft sich für Beiträge von mindestens 240 bis 480 Euro pro Kalenderjahr entsprechend auf 72 bis maximal 144 Euro, wobei dem Mitarbeiter aus dem Arbeitgeberzuschuss keine Steuerpflicht entsteht. Zudem können Geringverdiener einen Freibetrag von 200 Euro pro Monat ausschöpfen. Bis zu dieser Höhe wird eine Leistung aus der betrieblichen Altersversorgung nicht mehr auf die Grundsicherung angerechnet.
Die Pflicht für die Arbeitgeber, ihre 15-prozentige Ersparnis bei den Sozialversicherungsbeiträgen im Rahmen der Entgeltumwandlung an die Arbeitnehmer weiterzugeben, ist Anfang 2019 in einer ersten Stufe für neu abgeschlossene Verträge im Rahmen der Entgeltumwandlung in Kraft getreten. Ab Januar 2022 müssen die Arbeitgeber auch ihre SV-Ersparnisse aus den älteren Bestandsverträgen an die Beschäftigten, die Entgelt umwandeln lassen, weitergeben. Damit wären Eingriffe oder Ergänzungen von geltenden Versicherungsverträgen erforderlich.
Seit 2018 sehen Politik und Tarifpartner in der betrieblichen Altersversorgung Änderungsbedarf vor allem bei der Doppelverbeitragung der Krankenversicherung für gesetzlich krankenversicherte Betriebsrentner in der Leistungsphase. Wer während seines Erwerbslebens Entgelt bis zur geförderten Höchstgrenze umwandelt, dessen Betriebsrente wird durch die kompletten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung voll belastet. In der Ansparphase gibt es bislang die halbe SV-Ersparnis, in der Rentenphase die volle Belastung. Ausnahmen sind privat fortgeführte Direktversicherungen und privat entrichtete Beiträge an eine Pensionskasse.